Multilinguismus in Ostmitteleuropa im Zeitalter der Aufklärung. Theoretische Annäherungen

Multilinguismus in Ostmitteleuropa im Zeitalter der Aufklärung. Theoretische Annäherungen

Organisatoren
Philosophische Fakultät, Karlsuniversität Prag; Philosophische Fakultät, Südböhmische Universität Budweis; Nationalmuseum in Prag
Ort
Prag
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.07.2008 - 12.07.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Kristina Strachova, Südböhmische Universität Budweis

Am 11. und 12. Juli 2008 fand im Prager Lustschloss Kinsky ein internationales Kolloquium statt. Als Prolog und Einführung in die Atmosphäre des aufklärerischen Zeitalters konnte man am Vorabend der Veranstaltung ein Konzert von Petra Matějová und Irena Troupová besuchen, die dem Publikum Stücke von J. V. H. Voříšek und V. J. Tomášek, zweier böhmischer Zeitgenossen Schuberts aufführten.

Nachdem das Kolloquium am nächsten Morgen durch beide Veranstalter – Daniela Tinková und Ivo Cerman – eröffnet wurde, trat als erster MICHAEL WÖGERBAUER (Akademie der Wissenschaften, Prag) mit seinem Beitrag über Vernakularisation in Böhmen auf. In dieser theoretischen Überlegung entwickelte er seine früheren Theorien über den multikulturellen Charakter der Aufklärung in Böhmen. Er plädierte dafür, dass man die Kultur des 18. Jahrhunderts ohne Prisma des deutsch-tschechischen Antagonismus interpretieren und stattdessen ein Modell für die multikulturelle Interpretation entwerfen solle. Daran knüpfte CLAIRE MÁDL (CEFRES, Prag) an, deren Vortrag von den Funktionen des Französischen und des Deutschen im Sprachgebrauch eines böhmischen Adligen handelte. Ihr Beitrag war auch mit einer theoretischen Überlegung zur Kategorie „representation“ in der Methodik der gegenwärtigen intellektuellen Geschichtsschreibung verknüpft. Sie stützte sich vorwiegend auf die Auffassung von Michel de Certeau, dessen These vom aktiven historischen Akteur dann am Beispiel des böhmischen Adligen, Grafen Franz Anton Hartig, dargestellt wurde. Diese beiden Vorträge dienten auch dazu, sich in die Problematik des Multilinguismus und des Unterrichts in der Aufklärungszeit einführen zu lassen. Der Nachmittagsblock wurde eher der sprachwissenschaftlichen Seite der Prager Aufklärung gewidmet. IVO CERMAN (Südböhmische Universität, Budweis) gab Einblicke in die Welt des böhmischen Adels. Er versuchte die Ursprünge und die Funktion des Französischen im adligen Milieu auszulegen. Französisch sei das Soziolekt des Adels gewesen, deren soziale Funktion mit der Abgrenzung der privaten und der beruflichen Sphäre zusammenhänge. DANIELA TINKOVÁ (Karls-Universität Prag) hielt einen Vortrag über den deutsch-tschechischen Bilinguismus an der Prager Universität im 18. Jahrhundert und illustrierte ihre Thesen am Beispiel der Hebammenkunde. Im Unterricht dieses praktischen Faches machten sich der Nutzen und die Nachteile des Tschechischen deutlich sichtbar. HELGA MEISE (Universität Reims) erklärte am Beispiel der moralischen Wochenschriften, dass Deutsch in Prag des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Deutsch sei die „Sprache der Aufklärung“ gewesen und ihre Funktion wurde am Beispiel von einigen moralischen Wochenschiften und der Romane von Anna Marie Sagar dargelegt. Den Block beendete JOHANNES FRIMMEL (Universität Wien) mit seinem Bericht über die Buchgeschichte der Habsburgischen Monarchie und der gegenwärtigen Forschung.

Am Samstag, dem zweiten Tag des Kolloquiums, konzentrierte man sich auf den Multilinguismus in konkreten Gegenden Europas: Mit der Aufklärung in Ungarn beschäftigte sich MARIE-FRANÇOISE VAJDA (Universität Paris IV), VLADISLAV RJÉOUTSKI (Paris) stellte die Frage nach dem Multilinguismus in Russland. Er konzentrierte sich auf die Problematik des Übersetzens der philosophischen Werke und Gedichte. Sein Vortrag zeigte deutlich, dass die russischen Übersetzungen die Philosophie der französischen Aufklärung mäßigten und den russischen Verhältnissen anpassten. Zum Endpunkt des Blocks und somit auch des Kolloquiums wurde eine Debatte über Themen aller Vorträge wie auch allgemein zur Forschungsproblematik des aufklärerischen Multilinguismus geöffnet. Hier wurden die Ideen von Matthias Middell und Joshua Fischer zur historischen Untersuchung von Multilinguismus wieder zur Debatte gestellt. Die Diskussion wurde durch eine brilliante Zusammenfassung der ganzen Tagung von LEONHARD HOROWSKI (Technische Universität Berlin) eingeleitet. Den Höhepunkt des Tages stellte die Exkursion in die Bibliothek des Prämonstratenserklosters Strahov dar. Das Kolloquium half den Beteiligten nicht nur Kontakte anzuknüpfen, sondern bot auch die Möglichkeit die Fachthemen und -problematik zu besprechen und sich wechselseitig zu bereichern.

Konferenzübersicht:

Michael Wögerbauer (Akademie der Wissenschaften, Prag): Vernakularisation in Böhmen

Claire Mádl (CEFRES, Prag): Praktikums und Abbildung, zwei Mittel beim Unterrichten des Multilinguismus am Ende der Aufklärung

Ivo Cerman (Südböhmische Universität, Budweis): Französisch – Soziolekt des Adels in Böhmen im 18. Jahrhundert

Daniela Tinková (Karlsuniversität in Prag): Linguistischer Utraquismus an der Universität Prag am Ende des 18. Jahrhunderts – der Fall der Hebammenkunde

Helga Meise (Universität Reims): Deutsch als Sprache der Aufklärung in Prag

Johannes Frimmel (Universität Wien): Methodische Fragen einer Buchgeschichte der Habsburgermonarchie

Marie-Françoise Vajda (Universität Paris IV – Sorbonne): Multilinguismus in Ungarn im Zeitalter der Aufklärung

Vladislav Rjeoutski (Paris): Über manche Dinge und Akteure des Übersetzens in Russland (zweite Hälfte des 18. - erstes Drittel des 19. Jahrhundert)

Leonhard Horowski (Technische Universität, Berlin): Zusammenfassung